Auf einer gemeinsam von der Amrita-Universität und dem United Nations Academic Impact (UNAI) ins Leben gerufenen Konferenz hat Amma in ihrer Rolle als Präsidentin der Amrita-Universität zu Forschern gesprochen, die insgesamt 93 führende internationale Universitäten vertreten. In ihrer Ansprache bat Amma die Wissenschaftler eindringlich, ihre Forschung mit einem Gleichgewicht aus Bewusstheit und Mitgefühl anzugehen. Sie wies auf die Wichtigkeit hin, die Unterstützung von armen und leidenden Menschen bei technologischer Forschung zu berücksichtigen. Mehr als 100 Delegierte von 93 Universitäten folgten dem Aufruf von Ramu Damodaran, dem Leiter von UNAI. Sie unterzeichneten persönliche Absichtserklärungen, die den Willen zum Ausdruck bringen, in Forschung und Entwicklung zusammen zu arbeiten. Das erklärte Ziel ist, humanitäre Hilfe zu leisten und die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen voranzubringen. Lesen Sie Ammas vollständige Ansprache hier.
Ammas Ansprache
United Nations Academic Impact – START/Amrita-Universität
Konferenz zum Thema „Technologie für nachhaltige Entwicklung“
Grundsatzrede von Sri Mata Amritanandamayi Devi
Präsidentin der Amrita-Universität
New York, 8. Juli 2015
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Ich grüße alle hier heute versammelten Würdenträger. Ich würde diese Gelegenheit auch gerne nutzen, um dem United Nations Academic Impact meine tiefe Dankbarkeit für die Organisation dieser Veranstaltung und für die Prinzipien der Einheit auszusprechen, für die die Vereinten Nationen stehen.
Einige von Ihnen fragen sich vielleicht: „Hat eine spirituelle Person wie Amma einen Platz hier?“ Es ist mein Glaube an die Gültigkeit spirituellen Wissens, der mich heute hierher gebracht hat. Ich denke häufig über die Zukunft der Erde, den Schutz der Natur und die schwindende Harmonie zwischen Menschheit und Natur nach. Diese Kontemplation hat mich zu der Überzeugung geführt, dass sich Wissenschaft, Technologie und Spiritualität vereinigen müssen, um Nachhaltigkeit und Balance für die Welt zu gewährleisten. Das gegenwärtige Zeitalter und die Welt um uns herum bedürfen dieser Transformation.
Tag für Tag wachsen Wissenschaft und Technologie auf unkontrollierbare Weise. Niemand weiß, wohin dieses Wachstum uns führen wird. Wenn wir uns umblicken, sehen wir, dass Entwickler, Hersteller, Händler und Verbraucher alle in einem Wahn gefangen zu sein scheinen, die neuesten, großartigsten und größten Dinge zu erlangen. Der aktuelle Zustand der Menschheit ähnelt dem eines Kindes, das man alleine auf einen Süßwarenladen loslässt.
Heute können wir von unserem Bett aus alles Erdenkliche zu essen, trinken, schauen oder hören bestellen und es wird uns direkt nach Hause geliefert. Wir müssen in kein Geschäft mehr gehen, um neue oder gebrauchte Dinge zu kaufen. Es gibt Webseiten für alles und jedes. Das Internet revolutioniert die Welt, was gut ist. Jetzt können wir alles mit einem einzigen Klick unseres Fingers kaufen – außer einer Sache: Liebe.
Wir alle verfügen über klimatisierte Häuser, Autos und Büros. Viele Menschen können in ihren klimatisierten Zimmern jedoch nicht einschlafen und sind von Schlaftabletten abhängig. Manche bringen sich in ihren klimatisierten Villen sogar um. Was bedeutet das? Durch äußeren Komfort allein können wir keinen Geistesfrieden finden. Dafür müssen wir unseren Geist klimatisieren. Spiritualität hilft, dies zu erreichen.
Wir leben im Zeitalter des Internets. Egal, wohin wir auf dem Planeten gehen, wir brauchen Internet. Aber einher mit einer Verbindung zum Internet müssen wir auch unsere Verbindung nach innen, unser „Inner-net“, wiederentdecken. Spiritualität lehrt uns, wie wir sowohl unsere innere als auch unsere äußere Welt handhaben können. Für jemanden, der schwimmen kann, ist das Herumtoben in den Meereswellen eine wunderbare Erfahrung, aber jemand, der nicht schwimmen kann, ertrinkt darin.
Was geschieht mit der Gesellschaft? Gefangen in der Geschwindigkeit des Lebens, hat die Menschheit die grundlegenden menschlichen Werte vergessen. Wir halten ihre Bedeutung für gering. Wir versuchen, all die Gewalt und Unredlichkeit, die wir begehen, zu rechtfertigen, auf individueller Ebene und in zu den Beziehungen zwischen Nationen. Andere Menschen in der Gesellschaft sind die Leidtragenden, wenn wir unsere falschen Handlungen mit rationalen Argumenten rechtfertigen.
Es gab von Anbeginn der Zeit Probleme auf der Erde. Seit endlosen Zeiten leiden die Menschen aller Gesellschaften unter Kriegen, Konflikten, Diskriminierung wegen Klassenzugehörigkeit, Konfession, Religion und sozialer Position, sowie unter Disharmonie in der Familie. Aber unsere Vorfahren hatten einen anderen Blick auf das Leben. Sie hatten ein natürliches Bewusstsein von drei Faktoren: Menschen, Natur und von der unsichtbaren Macht, die beide harmonisch vereint.
Ihre Sicht auf das Leben berücksichtigte nicht nur die physische Existenz von Individuen und Natur. Sie glaubten an eine Macht, die die Grundlage der Natur und aller Lebewesen bildet – eine unsichtbare Macht, die alle Wesen mit der Natur verbindet. Sie erkannten diese Macht als den wichtigsten Teil des Lebens an. Sie glaubten auch, dass die ganze Natur und jedes Lebewesen im Universum wie Perlen unterschiedlicher Form und Größe sind, die auf einen einzigen Faden der Schöpfung gezogen sind. Deshalb gaben sie Werten wie dem miteinander Teilen, der Fürsorge, Rücksichtnahme und Empathie so viel Bedeutung. Heutzutage haben wir diese Mentalität als „primitiv“ etikettiert und lehnen diese Lebensart ab.
Beim Blick auf das moderne Leben sehen wir eine Überflussgesellschaft, die in Elend getaucht ist. Das Übermaß an Gier hat die Menschheit blind gemacht und als ein Ergebnis dessen treten immer häufiger unmenschliche Handlungen auf. Geistige Unruhe und Stress haben neue und bisher unbekannte Krankheiten entstehen lassen.
Die Menschheit steht am Scheideweg. Zurzeit verlässt sich die Menschheit allein auf Wissenschaft und Technologie. In Anbetracht unserer aktuellen Situation sollten wir jedoch zumindest versuchen, auch spirituelles Denken mit einzubeziehen.
In letzter Zeit haben wir so viele Naturkatastrophen und die alarmierende Veränderung des Weltklimas erlebt, einschließlich einer rasch zunehmenden globalen Erwärmung. Wir müssen gründlich reflektieren, ob menschliche Bemühungen allein ausreichen werden, um die drohende weltweite Katastrophe aufzuhalten.
In den alten Tagen suchten sich die Menschen, weil sie im Einklang mit der Natur lebten, einen vielversprechenden Tag aus, bevor sie einen Baum pflanzten oder schlugen. Vor dem Schlagen eines Baumes beteten die Menschen zuerst für den Baum und baten um Vergebung. Sie sagten: „Bitte vergib mir für die Handlung, die ich jetzt durchführen werde. Nur weil es notwendig ist, fälle ich dich.“ Aber was geschieht heute? Wir pflanzen nicht nur selten Bäume, wir zerstören sie und die ganze Natur ohne Unterlass.
Als Amma ein Kind war, trugen die Menschen Kuhdung auf ihre Wunden auf. Dadurch heilten diese schneller und entzündeten sich nicht. Aber wenn wir heute dasselbe täten, entzündeten sich unsere Wunden sofort. Was in der Vergangenheit wie Medizin wirkte, ist inzwischen giftig. So verschmutzt ist die Natur heute.
So wie wir Muttertag, Vatertag, den Maifeiertag und Erntedank mit viel Tamtam feiern, sollten wir einen Feiertag einrichten, an dem wir Mutter Natur speziell würdigen und verehren. Als Ritual sollte an diesem Tag jeder Mensch auf der Welt versuchen, mindestens einen Baum zu pflanzen. Das ließe sich sogar am Neujahrstag machen, so dass wir das Jahr mit einer verheißungsvollen Handlung beginnen. Wenn wir das wirklich machen, wird dieser Planet zu einem Paradies. Ein Baum ist wie ein Haus, das wir für Mutter Erde bauen.
Alles in der Schöpfung hat einen Rhythmus, eine unbestreitbare Beziehung zwischen dem ganzen Universum und jedem Lebewesen darin. Das Universum ist wie ein großes, miteinander verbundenes Netzwerk. Denken wir an ein Netz. Wenn wir es an einer Stelle schütteln, überträgt sich die Vibration auf das ganze Netz. In ähnlicher Weise – ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht – haben alle unsere Handlungen eine Auswirkung auf die gesamte Schöpfung, und zwar sowohl unsere Handlungen als Individuum als auch unsere Handlungen als Gruppe. Wir sind keine voneinander unabhängigen Inseln, sondern Glieder einer verketteten Gemeinschaft.
Harmonie existiert, wenn Mensch, Natur und die Macht jenseits von beidem als eins funktionieren. Zurzeit halten wir jedoch nur den Menschen und seine Entdeckungen für wichtig. In unserem heutigen Leben ist kein Platz für Werte. Allgemein wird geglaubt, dass Werte irrelevant und überflüssig sind.
Um reibungslos zu funktionieren, braucht ein Motor Öl. Unsere Werte sind jenes „Öl“, das uns als Gesellschaft hilft, ohne große Reibung zu leben. Solche Werte werden durch spirituelles Denken entwickelt.
Es gibt zwei Arten von Bildung: Bildung für den Lebensunterhalt und Bildung für das Leben. Wenn wir studieren, um Arzt, Rechtsanwalt oder Maschinenbauer zu werden, ist dies unsere Bildung für den Lebensunterhalt. Unsere Bildung für das Leben andererseits erfordert ein Verständnis der wesentlichen Grundsätze der Spiritualität. Das wirkliche Ziel von Bildung besteht nicht darin, Menschen hervorzubringen, die nur die Sprache von Maschinen verstehen können. Der Hauptzweck aller Bildung sollte darin bestehen, eine Herzenskultur zu vermitteln – eine Kultur auf der Grundlage beständiger Werte.
Spiritualität ist also eine Wissenschaft: Sie ist ein gültiger Wissenszweig, der nicht ignoriert werden kann. Die wissenschaftliche Gemeinschaft erforscht die physische Welt in einem Versuch, die Geheimnisse des Universums zu entdecken. Tatsächlich berichten die spirituellen Schriften von den Erfahrungen jener, die intensiv ihr Inneres (ihr Bewusstsein) erforscht haben, um dieselben Geheimnisse aufzudecken. Wenn wir versuchen, Spiritualität nur durch Mathematik, Physik und Logik zu sehen, können wir ihre Feinheiten möglicherweise nicht erfassen. Wir müssen uns ihr mit dem Vertrauen eines Kindes nähern und mit dem Staunen, das im Geist und in den Augen eines Kindes leuchtet. Berühmte Wissenschaftler der Vergangenheit betrachteten das Universum und seine Feinheiten mit Staunen und Verwunderung. Ihre Forschungsarbeit hatte die Wissbegierde und das Vertrauen eines unschuldigen Kindes. Tatsächlich haben viele herausragende Wissenschaftler von früher und von heute gegen Ende ihres Lebens die Spiritualität anerkannt, aber da war es schon zu spät. Amma betet, dass die Wissenschaftler, die die Welt heute anführen, nicht denselben Fehler machen.
Das Leben ist eine perfekte Kombination aus Logik und Geheimnis. Vielleicht ist es eher geheimnisvoll als logisch. In allen Lebensbereiche sollten Kopf und Herz zusammenarbeiten. Wenn zum Beispiel weißer Sand und Zucker vermischt werden, ist es sehr schwierig, die beiden wieder zu trennen, sogar für einen intelligenten Menschen. Aber für die scheinbar unbedeutende Ameise – die ein Symbol für die Demut ist – ist es ein Leichtes, nur den Zucker zu essen.
Amma wurde in einem kleinen Fischerdorf geboren, in dem 90 Prozent der Menschen von Tagelöhnen lebten. Viele Dorfbewohner litten unter Herzklappenfehlern. Obwohl Blockaden in ihren Herzklappen diagnostiziert wurden, konnten sie sich nicht operieren lassen, da künstliche Herzklappen nur aus dem Ausland erhältlich und sehr teuer waren. Menschen, die bis zum Alter von 70 oder 80 Jahren hätten leben sollen, starben mit 30 oder 40. Amma dachte: „Wenn wir nur künstliche Herzklappen herstellen könnten, die nicht so teuer sind.“ So wurde Ammas Interesse an einer Forschung geweckt, die den Armen dient.
Säuglings- und Kindersterblichkeit ist in vielen Ländern ein großes Problem. Um die Ursachen dieser Entwicklung zu untersuchen, haben wir viele Dörfer in Indien besucht. In einigen Dörfern sahen wir, dass die Frauen hauptsächlich Kräuter und Buschwerk aßen. Als wir uns nach den Ursachen erkundigten, erklärten sie: „Unsere Ehemänner arbeiten für Tagelohn und sie finden nur alle drei oder vier Tage eine Arbeit. Aufgrund des zu geringen Einkommens haben wir sehr wenig zu essen und geben dies schließlich unseren Männern. Um unseren Hunger zu unterdrücken, essen wir diese speziellen Kräuter und Sträucher.“ Selbst wenn sie schwanger sind, leben sie von dieser Nahrung. Wie sollen Kinder von solch unterernährten Frauen überleben?“
Einige Frauen in anderen Dörfern sagten: „Viele unserer Männer geben ihr gesamtes Einkommen für Alkohol und schlechte Angewohnheiten aus. Sie kommen nach Hause und beschimpfen uns. Obwohl wir genug zu essen im Haus haben, vergeht uns der Appetit.
In einigen Dörfern haben Frauen keine Ausbildung und sind Analphabeten. Daher nutzen ihre Ehemänner sie leicht aus, indem sie ihre Unterschriften fälschen, sogar für das bisschen staatliche Förderung, das sie bekommen können. Aus diesem Grund starteten wir Alphabetisierungsprogramme für Frauen. Wir beschlossen auch, diesen Frauen eine Berufsbildung mit Hilfe haptischer Geräte zu geben.
Die aktuelle Spaltung zwischen Arm und Reich ist der Fluch der gesamten Welt und dieses Missverhältnis wird täglich schlimmer. Ein Berg auf der einen Seite und ein Abgrund auf der anderen – so sieht die aktuelle Situation aus. Auf der einen Seite sind jene, die in ihrem Leben Millionen und Abermillionen für Luxus verschwenden. Auf der anderen Seite sind jene, die unter Hunger und Schmerzen kämpfen, um genug für nur eine Mahlzeit – oder nur für die Medizin eines Tages – zusammenzubekommen. Wenn wir es weiterhin hinauszögern, diese Spaltung zu verringern – wird dies zu Gewalt und sogar weitverbreiteten Unruhen führen. Wir brauchen unbedingt eine Brücke der Liebe und des Mitgefühls, die diese beiden Gruppen verbindet.
Armut ist eine furchtbare Geisel der Menschheit. Sie zerstört die Güte im Herzen und die Talente im Geist. Armut ist die Ursache allen moralischen Verfalls.
Als Amma einmal eine Veranstaltung im Ausland abhielt, kam eine Gruppe obdachloser Kinder zum Darshan, die mehr oder weniger in den U-Bahn-Schächten der Stadt lebten. Sie hatten Bilder für Amma gezeichnet. Die meisten Bilder zeigten gewaltsame Szenen von Bomben, Raketen und Schlachtschiffen. Ein Junge zeichnete ein Bild von Jesus Christus und Mutter Maria. Aber sie hatten Pistolen in den Händen. Als Amma ihn fragte, warum er Jesus Christus mit einer Pistole gezeichnet hatte, sagte er: „Wenn er hungrig ist, muss er dann nicht etwas essen? Wenn er eine Pistole hat, kann er jemanden damit ausrauben.“
Amma fragte: „Sohn, kann man nur zu Geld kommen, indem man jemanden mit einer Waffe bedroht?“
Der Junge erwiderte: „Mein Papa macht das so.”
„Kann dein Papa nicht arbeiten, um sich Geld zu verdienen?”, fragte Amma.
Der Junge erwiderte: „Mein Papa ist gesund genug, um zu arbeiten. Er hatte auch schon viele Vorstellungsgespräche. Aber niemand hat ihn je eingestellt. Niemand stellt Leute wie uns ein. Deshalb benutzt mein Papa eine Pistole. So sorgt er für uns.“
Die persönlichen Erfahrungen und Situationen, die die Kinder erlebt hatten, hinterließen tiefe Eindrücke im Geist der Kinder. Armut und das dadurch entstehende
Minderwertigkeitsgefühl äußern sich häufig in gewalttätigen Tendenzen, sogar schon in sehr jungen Jahren. So werden die Werte in der Gesellschaft untergraben. In solchen Situationen werden insbesondere Liebe und Mitgefühl benötigt.
Viele Menschen haben eine zynische Haltung zur Spiritualität. Was ist Spiritualität? Wahre Spiritualität ist Mitgefühl in Aktion. Spiritualität beginnt und gipfelt in Mitgefühl. Wenn wir Mitgefühl von einem bloßen Wort zu einem Handlungsweg transformieren könnten, würden wir 90 Prozent der humanitären Probleme der Welt lösen.
Der erste Schritt, um anderen zu helfen, besteht darin, Bewusstsein zu vermitteln. Wenn ein Diabetiker trotz regelmäßiger Einnahme seiner Medikamente weiterhin Süßigkeiten isst, wird sein Blutzuckerpegel steigen. Eine Kontrolle der Ernährung und die Veränderung des Lebensstils sind genauso wichtig wie die Medikamente. Amma erinnert sich an einen Vorfall, der in einem der Dörfer geschah, die wir [als Teil des Amrita Serve- oder Live-in-Labs-Projekts] adoptiert haben. Anfänglich brachten wir einer Kerngruppe von Leuten in jedem Dorf bei, wie man Toiletten baut, und überließen ihnen die eigentlichen Bauarbeiten. Als wir diese Dörfer nach einer Weile wieder besuchten, bemerkten wir, dass die Leute die Toiletten nicht benutzten. Sie öffneten die Tür ihrer neuen Toilette, schauten hinein, als besuchten sie einen Tempel, schlossen dann die Tür und gingen zum nahegelegenen See, um sich wie üblich dort zu erleichtern. An diesem Punkt begannen wir, die Dorfbewohner aufzuklären. Wir erläuterten ihnen, dass eine Darmentleerung in die Umwelt zur Verschmutzung von Wasser und Erde führt, was des Weiteren unsere Lebensmittel verunreinigt und zu allen Arten parasitischer Infektionen, wie zum Beispiel zur Hakenwurmkrankheit, führt. Dies half, das dringend benötigte Bewusstsein in der Gemeinde zu schaffen.
Wenn wir versuchen zu lieben und zu dienen ohne diejenigen zu verstehen, denen wir dienen möchten, führt dies oft dazu, dass wir uns selbst und der Gesellschaft Schaden zufügen. Der Dienst am Nächsten sollte Hand in Hand mit entsprechendem Urteilsvermögen gehen um nutzbringend wirken zu können. Dies ist die Essenz nachhaltiger Entwicklung.
Ein Fisch plantschte vergnüglich im Fluss herum. Ein Affe, der ans Flussufer gekommen war um seinen Durst zu stillen bemerkte den Fisch. Er dachte sich:
“Dieser arme Fisch leidet, weil er von der Strömung gefangen ist. Ich muss ihn retten!” In einem Anflug von Mitleid stürmte der Affe hinüber um den Fisch zu fangen und ihn am Flussufer in Sicherheit zu bringen. Der Fisch rang heftig um Luft und starb bald darauf.
Was wäre passiert, wenn der Affe zuerst versucht hätte den Fisch zu verstehen, bevor er ihn aus dem Wasser holte? Wenn er den Fisch gefragt hätte: „Soll ich dich aus dem Wasser holen?” hätte der Fisch geantwortet: “Oh nein! Wenn du das machst, werde ich sterben!” Ohne entsprechendes Verständnis zu handeln, gleicht dem Versuch des Affen, den Fisch zu retten. Herz und Verstand sollten in all unseren Handlungen gleichgeschaltet sein.
Einst brachte ein Mann einen zehnjährigen Jungen zu Amma. Er wollte, dass Amma ihn im Ashram großzöge, und erzählte ihr die Geschichte, wie der Junge zu einem Waisenkind wurde. Sein Vater war zwei Jahre zuvor gestorben weshalb seine Mutter und seine Schwester anfingen in einer Kerzenfabrik nahe ihres Heims zu arbeiten. Daraufhin wurde bei der Mutter ein chronisches Nierenleiden diagnostiziert und sie konnte aufgrund ihrer Bettlägrigkeit nicht mehr arbeiten. Obwohl der Lohn der Schwester sehr gering war, reichte es für die Familie gerade aus um über die Runden zu kommen.
Nach einiger Zeit traten Gesetze in Kraft, die Kinderarbeit untersagten. Der Besitzer der Kerzenfabrik wurde festgenommen und seine Firma geschlossen. Alle Kinder, die bisher dort gearbeitet hatten, wurden entlassen. Bestürzt über den Verlust der einzigen Einnahmequelle schickte die Mutter ihren Jungen am nächsten Morgen in die Schule, und vergiftete anschließend sich selbst und ihre Tochter.
Es ist zwar legitim solche Betriebsstätten zu schließen, aber wir vergessen dabei oft auf die Familien besagter Kinder, die auf die Arbeit angewiesen sind, um ihre Existenz zu sichern. Durch unser eindimensionales Bestreben ein Problem zu lösen ohne dabei alle Seiten beleuchtet zu haben, werden die Konsequenzen zwangsläufig von denjenigen getragen, die keine alternativen Handlungsmöglichkeiten haben.
Die Leute fragen: “Warum ist Spiritualität wichtig?”
Spiritualität hilft uns, Urteilsvermögen zu entwickeln, sie hilft uns zu unterscheiden, was lebenswichtig und was überflüssig ist. Wir brauchen beispielsweise eine Uhr, die uns die Zeit anzeigt. Sowohl eine Uhr für 100 Euro als auch eine für 50.000 Euro kann dies. Wenn wir die Uhr für 100 Euro kaufen, können wir mit dem restlichen Geld den Armen und Bedürftigen helfen, und somit der Gesellschaft einen großen Gefallen tun.
Obwohl wir tausend verschiedene Sonnen in tausend verschiedenen Wasserbehältern sehen, gibt es in Wirklichkeit nur eine Sonne. Ebenso ist das Bewusstsein in uns allen ein- und dasselbe. Eine solche Einstellung hat zur Folge, dass wir die Bedürfnisse der Mitmenschen über unsere eigenen stellen.
So wie unsere rechte Hand der linken zu Hilfe eilt, wenn diese unter Schmerzen leidet, mögen wir auch andere Menschen lieben und ihnen dienen als ob es uns selbst zugute käme.
Es gibt zwei Arten von Armut auf dieser Welt. Die erste Art entsteht aufgrund eines Mangels an Nahrung, Kleidung und Obdach. Die zweite aber entsteht durch das Fehlen von Liebe und Mitgefühl. Wir sollten die zweite Art der Armut zuerst bekämpfen. Denn wenn wir Liebe und Mitgefühl besitzen, werden wir bereit sein aus ganzem Herzen zu dienen und denjenigen zu helfen, denen es an Nahrung, Kleidung und Obdach mangelt.
Einst stand in einem Dorf eine wunderschöne Statue eines Mahatmas mit ausgestreckten, offenen Armen. Auf einem Schild unter der Statue waren die Worte “Komm in meine Arme” eingraviert. Im Laufe der Zeit brachen die Arme ab. Weil die Dorfbewohner die Statue aber liebten, waren sie sehr aufgebracht. Sie hielten eine Versammlung ab und berieten sich, was sie tun könnten. Einige schlugen vor, die Statue niederzureißen. Andere sprachen sich dagegen aus und sagten, es sollten neue Arme angefertigt werden. Schließlich aber stand ein alter Mann auf und sagte: “Nein. Macht euch keine Gedanken über neue Arme. Belasst die Statue ohne Arme.” Die Dorfbewohner entgegneten: „Aber die Inschrift darunter sagt was anderes aus. Nämlich: ‚Komm in meine Arme’.” Der alte Mann erwiderte: „Kein Problem. Fügt dem Spruch ‚Komm in meine Arme…’ einfach die Zeilen: ‚…indem du mich durch deine Hände wirken lässt.’ hinzu.”
Wir müssen zu den Händen, Augen und Ohren Gottes werden. Unsere Inspiration, Stärke und unser Mut müssen von Gott kommen. Dann können uns Furcht, Zweifel uns Sünde nichts anhaben.
Die Sonne benötigt kein Kerzenlicht. Genauso wenig braucht Gott irgendetwas von uns. Früher oder später wird der Körper verwelken. Ist es deshalb nicht besser ihn durch Aktivität auszukosten als ihn durch mangelnde Nutzung verrosten zu lassen? Was ist ansonsten der Unterschied zwischen Menschen und Würmern? Würmer essen, schlafen, pflanzen sich fort und sterben schließlich genauso wie wir. Was ist es, dass uns mehr aus unserem Leben machen lässt?
Kinder, ob Gott existiert oder nicht kann man diskutieren. Unabhängig davon kann kein noch so rationaler Mensch behaupten, dass es kein Leid unter den Menschen gäbe; wir können das Leid um uns herum mit unseren eigenen Augen sehen. Amma bezeichnet den Dienst an leidenden Menschen als Verehrung Gottes. Amma betet darum, dass diese selbstaufopfernde Einstellung in ihren Kindern erwacht. Möge die Welt durch euch alle erkennen, dass die Quelle der Liebe, des Mitgefühls, der Selbstlosigkeit und der Aufopferung in den Herzen der Menschen nicht versiegt ist.
In dem Dorf, in dem Amma geboren wurde, gab es nur eine Wasserleitung für etwa tausend Familien. Jede Person konnte höchstens einen Topf mit Wasser füllen und selbst dafür wartete man von morgens bis abends. Manchmal bekamen wir letztendlich gar kein Wasser. Aufgrund dieser Erfahrungen hat Amma, wenn sie einen tropfenden Wasserhahn sieht, das Gefühl, als ob ihr eigenes Blut anstelle des Wassers davonrinnt. Wir mögen uns fragen: „Wie können wir der Wasserverschwendung entgegenwirken? An wen können wir uns wenden um eine Lösung zu finden?”
Amma lebte ohne die geringsten Annehmlichkeiten und erfuhr das Leid der Menschen um sie herum. Aufgrund dessen fühlt sie sich instinktiv, immer wenn sie jemanden leiden sieht, dazu berufen, zu helfen. Die Natur ist unsere Mutter. Unsere leibliche Mutter mag uns ein paar Jahre lang auf ihrem Schoß halten, Mutter Natur jedoch lässt uns ein Leben lang in ihrem Schoß verweilen.
Amma hat nur einen Wunsch. Alle Universitäten sollten ihre Studentinnen und Studenten im Zuge des Studiums für mindestens ein oder zwei Monate in verarmte Dörfer oder städtische Slums entsenden. So könnten sie direkt erfahren, welchen Herausforderungen und Problemen die in Armut lebende Bevölkerung ausgesetzt ist. Die Studierenden könnten Lösungen entwickeln und wissenschaftliche Arbeiten über ihre Erkenntnisse verfassen. Dies würde der verarmten Bevölkerung am effektivsten helfen und gleichzeitig Mitgefühl in der jungen Generation wecken.
Heutzutage werden Universitäten und ihre Wissenschafter zumeist nach der Höhe der Fördersumme bewertet, die sie erhalten, nach der Anzahl der Arbeiten, die veröffentlicht werden oder nach ihrem intellektuellen Potenzial. Wir sollten jedoch darüber nachdenken, inwieweit die betriebene Forschung dazu beiträgt, den Menschen in der Gesellschaft zu helfen, die am meisten Unterstützung benötigen.
Wenn wir diesen Blick entwickeln, wäre es, als würde Gold beginnen zu duften.
In unseren Bestrebungen für eine nachhaltige Entwicklung sollten wir nicht vergessen, dass erst durch die Stärkung der Menschen am Fuße der gesellschaftlichen Pyramide das ganze Bauwerk gesund und stabil werden kann.
Die Trennung von Wissenschaft und Spiritualität war eines der größten Verbrechen gegen die Menschheit im letzten Jahrhundert. Diese beiden fundamentalen Wissensbereiche, die ineinandergreifen sollten, wurden getrennt und deren Vertreter entweder als moderne Wissenschafter oder Gläubige betitelt.
„Nur wissenschaftliche Entdeckungen haben mit Logik und Intelligenz zu tun. Diese sind die einzige Wahrheit. Religiöser Glaube ist blind und fehlgeleitet.” Jene Ideologie wurde lange Zeit verbreitet. Alle Naturkatastrophen aus jüngster Zeit und die beunruhigenden Veränderungen im globalen Klima bilden eine Herausforderung für das Fortbestehen dieser wunderbaren Welt, in der wir leben.
Folglich sind viele Menschen zu dem Schluss gekommen, dass all diese Entwicklungen möglicherweise das Ergebnis davon sind, dass Wissenschaft und Spiritualität auf zwei Waagschalen gelegt wurden mit der Behauptung, dass die eine Seite schwerwiegender sei als die andere.
Wenn wir wollen, dass durch unsere Handlungen entsprechende Ergebnisse erzielt werden, sind drei Faktoren erforderlich: Der richtige Zeitpunkt, die eigene Anstrengung und Gottes Gnade. Amma führt das Beispiel eines Mannes an, der eine lange Wegstrecke hinter sich bringen muss, um ein Vorstellungsgespräch zu absolvieren. Er wacht frühmorgens auf, setzt sich ins Auto und erreicht den Flughafen rechtzeitig. Nachdem er eingecheckt hat, hört er eine Durchsage, dass der Flug aufgrund technischer Probleme und Schlechtwetter abgesagt wurde. In diesem Fall brachte der Mann genügend Eigeninitiative auf und war rechtzeitig am Flughafen. Es fehlte aber die Gnade, die es ihm ermöglicht hätte, sein Vorstellungsgespräch pünktlich zu erreichen.
Gleichermaßen benötigen wir Gottes Gnade, damit unsere Handlungen vollständig und sinnvoll werden. Bei spirituellen Handlungen und Mitgefühl handelt es sich nicht um unterschiedliche Dinge – sie sind ein und dasselbe. Es sind unsere eigenen, selbstlosen Handlungen, die uns als Gottes Gnade wieder begegnen.
Möge der Baum des Lebens in der Erde der Liebe verwurzelt sein. Mögen gute Taten seine Blätter, Worte der Güte seine Blüten, und Frieden seine Früchte sein. Möge die Welt als eine Familie erblühen, vereint in Liebe. Mögen wir die Fähigkeit entwickeln eine Welt zu erschaffen in der Liebe und Zufriedenheit herrschen. Darum betet Amma aus ganzem Herzen.
|| lokah samastah sukhino bhavantu ||
“Mögen alle Wesen überall friedlich und glücklich sein.”